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Skizzen aus der Landeshauptstadt. S. A. Weimar, 18. Sept. […] Die Bildhauerkunst ist wohl deshalb die älteste und dem primitiven Menschenverstande am leichtesten begreifliche Kunst, weil sie die volle Rundung und Gestaltung der Form gibt. Gerade darum werden aber auch an sie die niedrigsten und die höchsten Anforderungen gestellt. Man hat vielfach behauptet, daß sie ihrer Schwesterkunst, der Malerei, gegenüber die leichtere Kunst sei. Und auf den ersten Blick des Laien will es fast so scheinen. Das Bild kann immer nur einen Standpunkt annehmen, einen Anblick geben und die Form herauszuholen aus dem Nichts des Hintergrundes bedarf es der Vortäuschung durch hohe Kunst. Die Plastik hingegen gibt wie die Natur auch in jeder ihrer Linien ablauschen. Aber eben dieses Gebundensein an die Natur ist es auch, was der Skulptur hindernd in den Weg tritt, und für sie, wenn sie der Gedankenwelt des Schöpfers gehorchen will, besonders gewaltige Mittel der Technik, besondere Gaben bildnerischer Kräfte verlangt. Und hier ist es, wo die höchsten Anforderungen einsetzen. Die Malerei besitzt die Hilfsmittel der möglichst getreuen Farbengebung, der möglichsten Schönheit des Kolorits. In der Hand der Plastik wird die Farbentönung leicht zum banalen Anstreichen. Sie bleibt also in ihrer Vollendung einzig auf die Form gestellt. Und dieses einzig vorwiegende Ausdrucksmittel der Bildhauerkunst wird leicht zur Grimasse, im Moment, wo die Gestaltungskraft des Künstlers vor der Größe seiner Idee Halt macht, nicht dieser sich unterordnet und sich ihr wie selbstverständlich in ihr aufgehend, dienstbar macht. Dieses Gefühl des sich nicht immer ausgleichenden Zwiespalts zwischen Wollen und Vollbringen beherrscht uns bei vielen der gedanklichen Schöpfungen, die der kürzlich nach Weimar übergesiedelte Bildhauer Schaufenbühl im Museum am Karlsplatz vor uns hinstellt. Warum muß der Oberkörper der Verzweifelten so viel feiner und interessanter aussehen, als ihre zu immensen Beine erwarten lassen? Warum freuen wir uns, daß der Krieger ein Torso ist, da er sonst vornüberfallen müßte und mit seinen stützenden Beinen stark in Konflikt käme? Warum hat die so eigenartige Gestalt am Pranger dieselbe schiefgezogene Lippe, wie der Späher mit dem Bogen? Und warum ist ihr Kopf so klein, daß er wie aufgesetzt erscheint? Man muß heutzutage oftmals bescheiden nach dem „Warum?“ fragen, da sich das Absichtliche der Künstler vielfach schwer mit dem Naturblick des Laienverstandes deckt. Die Gedankenwelt dieses hochbegabten, erfinderischen Künstlers ist groß, sein Wollen kühn, wo der spähende Ausdruck in den Augen wiederkehrt ist er von überzeugender Intensivität, aber warum verläßt uns eine kleine Nebenempfindung von Theatralik nicht? Sollten die zwei so überzeugenden Bildwerke die Tauben fütternde Mutter mit dem Kinde und das vorzüglich gestaltete kniende Mädchen mit den weichen Formen, daran Schuld sein, daß wir in den gigantischen Sachen wohl den Bildhauer, nicht aber den Bildner sehen?
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- Skizzen aus der Landeshauptstadt
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- 1912