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- 240. Jahrgang
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- E. Heckel und der "...
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Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
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JZ Sa, 8. November, Nr. 263 E. Heckel und der „Expressionismus“. Von F. Roh-Basel. Diese Zeilen interessieren höchstens den, dem die Kunst, diese eine Seite menschlicher Auswirkung lebendig ist. Innerhalb dieses Kreises aber übergehe sie auch der, welcher nur die Schönheit der Antike und der Renaissance fühlt und den Impressionismus der vergangenen Epoche für Verfall hält. Angeredet sind diejenigen, welche die gesteigerte Lebendigkeit eines Manet, Monet, Pissaro [sic], Liebermann usw. glücklich empfunden haben und nun der neusten Generation gegenüber, die die verjüngenden Errungenschaften der Malerei preiszugeben scheint, in ehrlicher Ablehnung gegenüber stehen. Am wenigsten gedacht ist an den Snob mit seiner blinden Begeisterung und köstlichen Angst irgend einen Anschluß zu verpassen, ein Gewächs hauptsächlich von Berlin, wo Künstler, Händler und Ausstellungen sich gegenseitig so überstürzen, daß Kunst, Mode und Kurspapier sich bedenklich nähern. Schon deshalb ist die Dezentralisationsarbeit zu begrüßen, die der Jenaer Kunstverein mit den Ausstellungen moderner Kunst geleistet hat. Er zeigt diesmal Bilder und Graphik (bei Frommann) von Ernst [sic] Heckel, diesem jungen Menschen, der durch Ausstellungen in Dresden, Berlin, Köln, München, Mannheim usw. immer bekannter geworden ist. Das Kunstwollen seiner Generation, das man Expressionismus genannt hat (vergl. W. Worringer: Abstraktion und Einfühlung), aus einer Gesetzlichkeit der Malerei zu erklären, wird immer wieder unfruchtbar bleiben. Es ist eben falsch, vom Impressionismus als formlos, von einer zwar differenzierten aber herrschaftslosen Haltung der Natur gegenüber zu reden, und den Expressionismus erst als Verarbeitung und Stil zu fassen. Im Gegensatz zu dieser bloßen Kampftheorie handelt es sich um Inhalt gegen Inhalt und Form gegen Form, was selbstverständlich, sobald die jeweilige Lebenshaltung gespürt wird, aus der heraus gestaltet wurde. Das Lebensgefühl des Impressionismus ist Fluß und Bewegung in ihrer Einmaligkeit. Das freie Licht wird als die lebendig machende Gewalt empfunden, die uns alles für Momente in unmittelbarste Wahrnehmungsnähe rückt. Es handelt sich um eine Lust an der momentanen unfaßbaren Lebendigkeit. Man malte Bauern auf ihrem Feld, Straßen, Großstadt und es wurden Szenen, von denen die Frische des sonst überhörten Augenblickes vom gewöhnlichen Leben herausgestellt wurde. Das Mittel, mit dem sich das Lebendige des Eindrucks nur durchsetzte, war Aufbau aus hellen Flecken, die in ungebrochener Lichtstärke nebeneinander sitzen und die Form auflösen zu Gunsten einer Blickeinheit, die das Ganze lebendig erfassen läßt, somit die trennende und festlegende Linie bannt, die nur in einem nacheinander genießbar ist. Es ist plausibel, daß in dieser Generation die realistisch empfindenden Maler dominierten. Bei den Neuen zeigen schon die neuen Gegenstände die veränderte Haltung: Wilde, Kranke, Tiere, Masken, Traum, Urzuständlichkeit und Animalisches sind die Dinge, in die man sich hineinfühlt, woran sich die seltsam dunkle Bewegung des Seins entfaltet, die in all diesen Geschöpfen gemeinsam kreist und sie zu Repräsentanten der Welt einer hinter den Dingen waltenden oft panikartigen Leidenschaft werden läßt. Alles erscheint jetzt Gleichnis, die Realität und Gegenwärtigkeit ist ihres Selbstzweckes beraubt, ein Streben, wie es in Cézanne, Gogh und Gauguin schon anhebt. Man mag deren Lebendigkeit von Mensch und Welt mit der eines Liebermann vergleichen, um den einsetzenden Wandel zu spüren. Hier Freude an der schlagenden, zufälligen, reichen, heutigen Bewegtheit des Daseins, von der man fühlt, daß sich jeder nächste Moment ändert. Jetzt Notwendigkeit; statt differenziert singulärer jetzt kosmische, alles von innen bindende Bewegtheit. Man vergleiche hierfür das Großstadtbild beider Generationen, auch die reine Landschaft, oder eine hervorkommende Straße bei Monet und Munch und impressionistische Pferde mit denen Marc’s. Entsprechend nun die neuen Bildmittel der Jungen, die jetzt alles irgendwie symbolisch erscheinen lassen: Naturabhängige mystische Farbgebung, einfassende Linien, bindende Kurven, stehende Flächen, magische Liniensysteme. Und bei den neuesten wieder Sinn für Plastik, an der sich das Symbolische oder von individuellem Leben Entbundene so gut gestalten kann. Heckel, Kirchner, Pechstein, Marc, Picasso ec., alle machen Plastiken und ihre Malerei schon zeigt die Natürlichkeit dieses Triebes (der am größten bei den Kubisten auftauchte). All dem entsprechend nun auch eine neue Produktionsart. Die Impressionisten malen nur vor der Natur und bewerten die Skizze am höchsten. Jetzt viele flüchtige Naturgestalten, nur als Material betrachtet, die sich im Winteratelier dann zum Bilde formen. Von Heckel nun ein reines Bild zu bekommen und zu sehen, wie er wiederum ganz Individualität in dieser Generation ist, müßte man all seine Holzplastiken neben den Gemälden, Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitten und Lithographien haben, da er – mit mittelalterlicher Handwerkssicherheit – aus dem Spezifischen all dieser Technicken [sic] heraus produziert. Seine innere Haltung mag sich verdeutlichen, wenn einiges von seinem Leben hier angeführt wird. Er lebt als Kind im Erzgebirge und sieht die Gebirgler, die in ihren Hütten Puppen schnitzen, ihr Feldchen an steinigen Hängen pflügen, der Mann vorgespannt, bis ein Guß die dünne Erde dann wegschwemmt, daneben Adelssitze und Fabrikherren und inmitten ein predigender Pfarrer. In Chemnitz sieht er morgens und mittags die dumpfen Arbeiter ziehen. Nach Abitur dann Studium der Methematik [sic] und Architektur in Dresden. Gründung der „Brücke“, Lebensschläge, Lektüre von Bibel, Kleist, Nietzsche, Hamlet, Dostojewski, der als reichster unseres Jahrhunderts empfunden wird. Dann bei den Bauern Schleswigs, wo die Volkskunst von Flensburg bewundert wird und das verhaßte Rokoko nicht hinkam. Freude an aller spezifisch deutschen Kunst, die sich immer wieder (bis zum französischen Impr.) vergebens vom Westen überfluten lasse. Liebe zum germanischen Ausdrucksornament, zu Cranach, Grünewald, Meister Franke, Rembrandt, Munch. Abneigung gegen Antike und Hochrenaissance, deren souveräne Ausdrucksimmanenz als Aufgehen in der Gesetzlichkeit des Körpers und Abschwächung seelischer Intensität empfunden wird. Bewunderung für gewisse Negerplastik und deren „zeitlosen, absol. plastischen Ausdruck“. Ueberall als Grundstimmung das Gefühl, leidenschaftliches Leben, ruhelos ineinandertreibend, oft auch sich sättigend zu Schicksal und schwerer Freundlichkeit. Nichts mehr von den sozial demonstrierenden Naturalismen des Leidens, wie sie so oft das letzte Jahrzehnt gezeigt hatte. Ueberall das Ewige des dunkel rauschenden Lebenstriebes aller Kreatur. Die Weite des Erlebnisses, der Reichtum an inneren Formen sowie technischen Möglichkeiten, die leichteste und riesige Produktion, von der Jena kein Bild geben kann, vor allem aber der bei Kenntnis der Gesamtproduktion stetig reicher werdende und trotzdem geschlossenere Klang eines Bildes zeigen – innerhalb einer Menge ringend Vergänglicher – das sichere Werden eines bleibenden Künstlers.
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- 2.-16. November: Erich Heckel, auch im Graphischen Kabinett