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Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
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Jenaische Zeitung, 21.6.1913 Zur graphischen Ausstellung des Kunstvereins. Unser Jenaer Ausstellungsleben hat eine glückliche Erweiterung erfahren. Es hatte sich bei den Veranstaltungen des Kunstvereins im Volkshaus ergeben, daß man Gemälde mit Graphik in demselben Raume aufzeigen mußte, wobei die Graphik natürlich immer erschlagen wurde. Für die gesonderte, intimere Betrachtungsweise, die diese Kunstart fordert, ist endlich nun ein guter Raum gefunden, indem die Frommannsche Kunsthandlung ein entsprechendes Zimmer eingerichtet hat. Dies dem Kunstverein zur Verfügung gestellte graphische Kabinett hat den Vorzug zentralster Lage und ist zu jeder Tageszeit unentgeltlich zugänglich. In Verbindung mit den Ausstellungen im Volkshaus soll hier allmählich die Graphik unserer lebenden Künstler gezeigt werden. Alle 14 Tage wird gewechselt. Dank der glänzenden Verbindungen unseres Kunstvereins wird man nicht mit Sekundärem und „Provinzkunst“ abgespeist werden. Man wird die unserer ringenden Zeit Lebendigen, die Zukunftsvollen sehen können, wie dies sonst nur in Kunstzentren und größten Städten der Fall ist. (Wobei sich auch ergibt, daß manches Blatt billig erworben werden kann, das bald zu hohem Preise steigen dürfte.) Die erste Ausstellung zeigt zwei Arbeiten Hodlers. Ein Mädchen in Verzückung, rhythmisierenden Ausdrucks der Bewegungen, inmitten symbolischer Natur. Die andere Arbeit ist eine Bewegungsstudie zum hiesigen Universitätsbild, die Drehbewegung des Rockanziehenden von schönster Intensität und Sicherheit der Formsetzung. Neben dem 60jährigen Schweizer zeigt die Ausstellung vor allem aber seinen jungen Landsmann Herm. Huber, einen noch fast unbekannten 25jährigen Walliser. Seine vorliegenden Arbeiten gehören in die Jahre 1907-1913 und werden durch den großen Reichtum ihrer Möglichkeiten überzeugen. Nach den Belebungsversuchen der Graphik von seiten eines Thoma und Boehle, welche ins Archaisierende gerieten, zeigt sich hier jene freiere und differenziertere Phantasie, wie sie schon Klinger, wenn auch in realistischerer Durchführung ausgewirkt hatte. Das Spezifische der Radierung ist genutzt: das Rhapsodische, Improvisationsmäßige, Schwingende, das durch sie gegeben werden kann. Die Malerei wird nämlich durch ihre große Möglichkeit, der realen farbigen Welt nahe zu kommen, oft dahin geführt werden, den Schein realen Lebens hervorzurufen und sich in diesem steigernd zu ergehen. Man denke in dem Sinne an das spezifisch Malerische, wie es uns Velasquez [sic] verkörpert. Natürlich fordert die Farbe auch auf, ein Gefühl auszuleben, aber hier tritt schon die Radierung als direkter Ausdrucksweg zur Seite, indem sie weniger zur Durchbildung der realen Erscheinung auffordert und daher dem Weltgefühl eine umso freiere Aussprache verleiht. Ihren Hauptwert als Ausdrucksmittel hat sie aber für das gefunden, was wir Phantasie nennen, für jene illusionäre, vage Welt der Ferne. Hier schließt sich ihre Wirkung mit ihrer schnelleren Entstehung zusammen, dem Improvisationsmäßigen, das im Bereiche der Phantasie am besten gewahrt bleiben wird, wenn die traumhaften Gebilde nicht erstarren sollen zu kalten Gesuchtheiten. Dem Wesen der Radierung gemäß scheint auch Hubers Welt zu leben. Sie bereichert uns, indem sie köstlich ferne, entlegene Stimmungen lebendig macht, und Dingen, die wir in leisestem Anklange nur ahnend fühlten, plötzlich beglückendste Gestalt zu geben weiß. Bald sehen uns wirr erschrockene Menschen an, bald in ihr Sein versunkene Körper; andere treiben fischhaft durch die Welt, die sie wie ein Meer bewegt und in der Schwebe hält. Aber man gehe selbst und sehe diese Bilder und gebe sich ihnen hin. Man mache nicht mit der Konstatierung von Abhängigkeiten Halt. Solche sind vorhanden, d. h. der junge Künstler weiß manchmal sein Inneres noch nicht ganz zu realisieren und borgt mal eine gothische [sic] Haltung oder einen Ausdruck Signorellis, eine Geste Hodlers oder eine Landschaft, die an Dürer denken ließe. Mit ruhiger Hingabe wird man aber hinter all dem und auch mancher Verzeichnung eine innere Organisation und Wesenheit fühlen, die unerhörte Stimmungen mitzuteilen weiß. Und diese nicht gestaltlos, sondern gezwungen und gefaßt in einen reich gegliederten und flüssigen Rhythmus. So werden beide Arten von Kunstfreunden Huber genießen, sowohl diejenigen, die mehr von Ethos und Stimmung an die Kunst heran kommen, als auch die, welche von der Gestalt und Formulierung an sie herantreten. Zum Schluß sei noch zu der erstaunlichen Entwicklung Hubers bemerkt, daß die detaillierten perspektivischen Landschaften, in denen Menschen stehen, sein frühester Typ ist. Die Figuren rücken dann mehr nach vorn und bekommen eine hellere Durchführung, die das ganze flächig wird und in eine ornamentale Gliederung von sanfter Plastik eingeht. Sie stammen aus der Zeit, wo Huber mit Mönchen in Benediktbeuren lebte und dort die Klosterwände ausmalte. Ein dritter Typ zeigt eine aufgelöste Form, in der die Landschaft in neuem Sinne wieder auftaucht, indem die Menschen nicht mehr erstaunend in ihr stehen, sondern sie den Affekt mitlebt und steigert, in welchem die Figuren sich befinden, und Alles aus diesem herausgestaltet ist, und die realen Formen nur noch Mittel zum Zweck sind. F. Roh.
- Rubrik
- Kunstverein/Ausstellung im Kunstverein / Kunstausstellung
- Rubriken Kunst
- 15. Juni-10. Juli: Ferdinand Hodler, Hermann Huber auch im Graphischen Kabinett des Kunstvereins in der Frommannschen Hofbuchhandlung am Eichplatz; 1913