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Jenaische Zeitung, 20.5.1913 Kunst und Wissenschaft. Gauguin über die Kunst der Malerei. In der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ teilt Rosa Schapire Aufzeichnungen von Paul Gauguin mit, die der Künstler seinerzeit einem Skizzenbuche vorangestellt hatte. Wir geben daraus einen Vergleich der Malerei mit den Künsten der Dichtung und der Musik wieder: „Die Malerei ist die schönste Kunst; in ihr sind alle Sensationen eingeschlossen; bei ihrem Anblick kann jeder, je nach dem Schwung seiner Phantasie, einen Roman schaffen und sein Herz von tiefsten Erinnerungen durchfluten lassen. Kein Gedächtnisaufwand, alles umschließt ein Augenblick. Eine vollkommene Kunst, die alle anderen zusammenfaßt und vollendet. Wie die Musik wirkt sie durch die Sinne auf die Seele, harmonische Töne korrespondieren mit der Harmonie der Klänge; aber die Malerei erreicht eine Einheit, die der Musik verschlossen bleibt, die Musik basiert auf dem Nacheinander der Akkorde, und der Geist ermüdet, wenn er Anfang und Ende zusammenfassen will. Das Ohr ist im ganzen genommen ein niedrigerer Sinn als das Auge. Das Gehör vermag nur einem Ton auf einmal zu dienen, das Gesicht dagegen erfaßt alles mit einem Blick und vereinfacht dabei nach Gutdünken. Hört man Musik oder betrachtet man ein Bild, so kann man sich ruhig seinen Träumen hingeben. Beim Buche wird man zum Sklaven des Verfassers. Der Schriftsteller muß sich an die Intelligenz wenden, ehe er den Zugang zum Herzen findet, eine Sensation, die durch die Ueberlegung gegangen ist, büßt an Unmittelbarkeit ein. Nur das Gesicht erzeugt die unmittelbare Wirkung. Um ein Buch zu beurteilen, bedarf es der Intelligenz und des Wissens. Um Malerei und Musik zu beurteilen, bedarf es neben Intelligenz und künstlerischem Wissen noch besonderer Sensationen in der Natur, man muß mit einem Worte als Künstler geboren sein; viele aber sind berufen und nur wenige auserwählt. Jede Idee läßt sich formulieren, aber anders verhält es sich mit gefühlsmäßigen Sensationen. Welcher Anstrengungen bedarf es, um über seine Furcht, über einen Augenblick des Enthusiasmus Herr zu werden; entsteht die Liebe nicht häufig auf den ersten Blick und ist sie nicht fast immer blind? Und dabei nennt sich der Gedanke Geist, während Instinkte, Nerven, Herz einen Teil der Materie bilden. Welche Ironie!“
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- 1913