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Jenaische Zeitung, 18.5.1913 Wider den Doktrinarismus in der Kunst. Auf dem Tag für deutsche Erziehung in Weimar, über den wir bereits berichtet haben, hat der Bildhauer Hermann Obrist, der seine Jugend in Weimar verlebt hat, eine Rede gehalten, die, so schreibt das „Leipziger Tageblatt“, wie ein Aufschrei des schöpferischen Menschen gegen das Uebermaß der Theorien und Doktrinen in Dingen der Kunst klingt. Mit flammenden Worten ist hier ein Künstler aufgetreten, um die Macht der Phantasie und des Gefühls gegenüber dem mechanisierenden Rationalismus unseres Zeitalters zu preisen. Wenn er dabei im Kampfe gegen das Vordringen des Zweckmäßigkeitsgedankens auch in der Kunst hie und da zu weit ging und auch einmal am unrechten Pllatze [sic] den Feind zu wittern glaubte, so ist das aus dem Lauf der Zeiten nur zu gut zu begreifen und kann nicht vergessen lassen, wie viel Wahres und Berechtigtes in diesem mutigen Bekenntnis steckt, das zur rechten Stunde abgelegt wurde. Obrist führte aus, daß die leidenschaftliche Vorliebe unserer Zeit für die wissenschaftlich-rationalistische Methode auch auf die Kunst ausgedehnt werde. So sehen wir z. B. große Kreise unseres heutigen Münchener Kunstgewerbes sowie des Werkbundes im Banne des sogen. Sachkunstgedankens stehen, bei dem die Prinzipien der Zweckmäßigkeit, des Konstruktiven, der Materialechtheit, der Schlichtheit und Einfachheit als einzig und allein maßgebend verfochten werden, so zwar, daß ein Gegenstand, der diesen Anforderungen entspricht, schon künstlerisch schön sei. Einzelnes Gesunde an diesen Prinzipien könnte man sehr wohl gelten lassen, wenn nun nicht in den Kreisen dieser Künstler mit echt deutschem Eigensinn alle Elemente der Phantasie, der unzweckmäßigen Belebung, der ganz individuellen Gestaltungs- und Erfindungskraft der einzelnen genialen Persönlichkeit leidenschaftlich bekämpft und ausgeschaltet würden. Die ganze Bewegung endet in rein kunsthygienischen, kunstsanitären Bestrebungen, und die Vernünftigkeit wird zur hemmenden Plage, weil auch noch die Schulen davon ergriffen werden. Unsere kunstgewerbliche Pädagogik ist derart entwickelt, es ist alles so zu Ende durchgedacht, daß der Schüler das eigene Suchen und Finden, das eigene Ueberwinden der Schwierigkeiten, den Anreiz der Erfindungskraft, völlig verlernt. Die Kunstgeschichte beweist jedoch, daß alle eigentliche Kunst in Architektur und Kunstgewerbe noch stets einem ganz außerzweckmäßigen schöpferischen Gestaltungs- und Ausdruckstriebe entsprach [entsprang?], der Phantasie. Wir sehen so auch in der Malerei der Allerjüngsten, der Neoimpressionisten, der Pointillisten, der Expressionisten, der Futuristen, Kubisten, Orphisten und wie sie alle heißen mögen, einen fanatischen, intellektualistischen Doktrinarismus am Werke. Nicht mehr aus dem Drange, innere Erlebnisse der Phantasie sichtbar zu machen, geht man an die heilige Kunst heran, sondern aus optischen, physikalischen, koloristischen, stereometrischen Prinzipien heraus, die auf wissenschaftlichem Wege gefunden oder ergrübelt wurden. Und die Propaganda dieser Leute ist so stark, daß sie geradezu lähmend auf die schöpferischen Triebe wirkt, die in der Jugend irgendwo latent schlummern mögen. Nicht anders steht es in der Plastik, ob es sich nun um den antikisierenden Doktrinarismus Hildebrands handelt oder um die neuesten Theorien, man müsse zu der Plastik der Neger oder Polynesier zurückkehren. In der Lyrik herrschen akustische Prinzipien vor oder die Doktrin des seelischen Stammelns und Lallens; in der Bühnenkunst wird mit Fanatismus die Reduktion des Bühnenbildes auf ein Minimum, die Reliefwirkung durch Aufheben der Perspektive verfochten. Man tanzt auch hier nicht mehr, wie Scharen glücklicher und temperamentvoller junger Leute im Wirbel des Tanzes gesteigertes Glück des Körpers suchen, sondern der Tanz wird mit dem ganzen Apparat rhythmisch-gymnastischer Prinzipien wie in einem orthopädischen Sanatorium gelehrt. Man intellektualisiert, man objektivisiert alles; man experimentiert gewiß reichlich, aber man schafft nicht mehr aus der Fülle der persönlichen Instinkte und Triebe, aus dem heiligen Müssen heraus. Und doch lehrt die Geschichte nicht bloß der Kunst, sondern der Technik, der Wissenschaft, der Staatskunst, daß nur der schöpferische Wagemut, die persönliche Kühnheit, das Wirken der unbewußten göttlichen Kraft des Geistes um des Geistes Willen das höchste Menschliche geleistet hat. Köge der Geist der Reflexion doch endlich vor der Kunst haltmachen! Das Glück des Künstlers kann stets nur darin liegen, ein inneres Erlebnis auszudrücken. Ob es in Tönen, ob in Dramen, ob es in Formen oder Farben, ob mit dem Worte oder dem eigenen Körper geschieht, stets ist es nur das schöpferische Gestalten dieses außerzweckmäßigen Etwas, das ihn mit dem großen Schöpfer verbindet und womit er etwas von Gott offenbaren kann.
- Rubriken Kunst
- 1913