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Jenaische Zeitung, 6.5.1913 Berliner Stimmungsbilder. Von Paul Lindenberg. […] Gar kriegerisch ging es diesmal gelegentlich der Eröffnung der neuen Sezessionsausstellung zu. Wir sind ja seit langem an allerhand Krakele innerhalb der Sezessionskreise – denn aus dem Kreis sind allmählich Kreise geworden – gewöhnt, aber zum ersten Male flüchtet sich eine Gruppe von Mitgliedern jener Künstlervereinigung in die Oeffentlichkeit und hält nicht mit argen persönlichen Beschuldigungen zurück, das Ganze ist recht unerquicklicher Natur. Wie auch vieles in der Ausstellung selbst. Sie bietet Jahr um Jahr stets dasselbe Bild: anerkannte Meister, darunter verstorbene, wie Leibl, der sich wahrscheinlich für einen großen Teil der Mitaussteller bedanken würde, wenn er dazu noch in der Lage wäre, dann wieder eine erschreckende Ansammlung von Unkultur, Roheit, Geschmacklosigkeit und Widerwärtigkeit, worüber man gar nicht mehr erstaunt. Daß in dieser ernsten Zeit allerhand Kindliches und Kindisches, welches hier an den Wänden zu sehen ist, für Humor sorgt und bei den Beschauern helle Heiterkeit erweckt, ist ja freudig zu begrüßen. Was mögen aber zu diesem frohen Lachen, das so häufig selbst am Eröffnungsvormittag ertönte, an welchem sich doch allerhand getreues Volk versammelt hatte, die Herren des Vorstandes und die Mitglieder der Jury sagen! Unter den bewährten Kräften ragen der schon erwähnte Leibl, Trübner, Liebermann, Corinth, Slevogt hervor, sehr gut sind unter den Bildhauern Klimsch und Gaul vertreten. Die Einrichtung der Räume und die Anordnung der Werke verdienen durchaus Anerkennung; schließlich kommt jeder auf seine Rechnung, die Bewunderer und die Spötter. Die Spötter sind aber auch noch ganz besonders auf ihre Rechnung gekommen, indem sie kürzlich einen jetzt häufig genannten Führer der jüngeren Sezessionisten gehörig hineinlegten – nennen wir ihn Asphaltstein und die von ihm künstlerisch beratene Zeitschrift „Der Wind“. Saßen also da in einer rheinischen Stadt ein paar frohgemute Maler beisammen, die über die Kubisten, Futuristen, Leutchen von der „Brücke“ und ähnliche Genies ihre gesunden Ansichten haben. Als man einige Stündchen beim Wein gesessen, ward ein Tintentopf und ein feister Pinsel herbeigeschafft, letzteren tunkte man in die Tiefe und fuhr mit ihm über das Papier; so entstanden ein Dutzend „Zeichnungen“, die mit den schönsten Titeln geschmückt wurden, wie „Verbrüllte See“, „Das Weib“, „Keusch“, „Dichterin“, „Selbstporträt“, „Schwere Mächte“ usw. Dann holten die Künstler tief Atem und verfaßten folgendes Schreiben: „An Herrn Maler Asphaltstein, Führer der Neuen Sezession und künstlerischer Beirat der wunderschönen Zeitschrift „Der Wind“ in Berlin. Hochgeehrter Herr! Einmal sah ich in den „Wind“ – paßte mir nicht! – Heute paßt mir der ganze akademische Schwindel nicht mehr – heute fahre ich mit „Wind“! Sie dürfen ruhig lachen, wenn Sie meine Erzeugnisse zu Gesicht bekommen – aber Sie werden mir nicht das geniale Unzeitgemäße absprechen können – wohl auch nicht wollen. Alle Kunst ist Technik! Aber weshalb trage ich diese Eule nach Athen? – Weil ich alle rudimentäre Tradition für krankhaft halte, die man mit dem „Wind“ wegblasen sollte. – Sie sind Künstler genug, mich auch ohne Worte zu verstehen? – Es kommt ja in der Kunst nur auf die bodenständige Einfachheit der Seele an. Alle wahre Kunst ist Seelenkult – schreiben Sie mir sofort! Gefallen Ihnen meine intiutiven [sic] Komplexe oder nicht? Wenn – dann soll es mir eine Freude sein, damit im „Wind“ zu erscheinen. Honorar? Machen Sie, wie Sie wowllen [sic].“ Der Brief ging ab in Begleitung der herrlichen Kunstwerke, auf denen überhaupt nichts zu erkennen war, als wirre Flecke und irre Linien, und wenige Tage später traf folgende Antwort aus Berlin-Friedenau ein: „Sehr verehrter Herr! Danke Ihnen für den Beweis, daß sich überall die Kräfte regen. Es gefallen mir Ihre Arbeiten und werde dieselben dem Herausgeber des „Wind“ geben, damit er einiges verwendet. Allerdings zahlt er kein Honorar. Werde mich sehr interessieren, gelegentlich einmal Bilder zu sehen, Herbst dieses Jahres stelle ich eine Kollektion Zeichnungen für eine Ausstellung in einem Museum zusammen, und werde Ihnen dann schreiben, etwa zehn Arbeiten dafür zu geben. In Hochachtung M. Asphaltstein“. – Man kann sich die Freude der rheinischen Künstler denken, die nun den Befähigungsnachweis Schwarz auf Weiß besaßen. Derselbe Herr Asphaltstein wird von gewisser Berliner Seite als großes Licht betrachtet. – Randbemerkungen überflüssig! […]
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[Identifikation von "M. Asphaltstein" nicht sicher; für Georg Tappert (expressionist. Maler aus Berlin) als Vorsitzenden und Hauptorganisator der Neuen Secession spricht die Rede vom "Führer der jüngeren Sezessionisten" bzw. "Führer der Neuen Sezession", außerdem die Wahl des Spottnamens, da die großstädtische Vergnügungswelt Tapperts Sujet war; Franz Marc kommt in Frage durch seine Nähe zu Walden und dessen Zeitschrift "Der Sturm", er war ebenfalls bei der Neuen Secession und richtete den im Text angekündigten Herbstsalon mit ein, aber ohne Adresse in Berlin]
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- 1913