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- Jenaische Zeitung :...
- 240. Jahrgang
- Januar
- Nr. 22 : Sonntag, d...
- Kunst-Ausstellung
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Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
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Kunst-Ausstellung. Die Januar-Ausstellung des Kunstvereins enthält nur Werke zweier Künstler: A. Erbslöh und A. Kanoldt. Die beiden Maler haben nahe verwandte Ziele. Man sieht auch, daß sie sich gegenseitig angeregt und ihre Erfahrungen mit einander ausgetauscht haben. Dadurch trägt die ganze Ausstellung ein durchaus einheitliches Gepräge, es ist ein wundervolles Zusammenklingen sämtlicher Bilder zu einem vollen, dunklen Akkord, die Bilder hängen in einer Reihe in mäßigen Abständen auf der rötlich-grauen Wand, deren Ton zum ersten Male zu den gesättigten reichen Farben der Bilder stimmt. Die Ausstellung ist eine Labung für die Augen. Die beiden Künstler sind uns nicht mehr unbekannt, es sind auch sogar Bilder hier, die schon damals ausgestellt waren, es ist erfreulich und belehrend zugleich, sie wieder zu sehen. Belehrend, weil in diesem großen Zusammenhang wir erst eine klare Anschauung von der Kunst beider Maler gewinnen können. Beide haben ein ungeheuer starkes und intensives Naturgefühl: sie sehen mit eigenen verstehenden Augen die Dinge der Wirklichkeit, und haben in langer, ernster Arbeit sich die Fähigkeit erobert, ihre Erlebnisse und Eindrücke zum Bilde zu gestalten. Denn hier beginnt erst die eigentliche künstlerische Arbeit, wenn der Künstler durch langes Studium sich einen reichen Formenschatz aus der Wirklichkeit erworben hat, und nun daran gehen darf, ihn bildmäßig zu gestalten. Für diese erste künstlerische Tätigkeit im engeren Sinne bedarf jeder strebende Künstler der Führung. Er wird sich je nach seinem eigenen Temperament den Führer wählen. Er lernt von ihm einen Weg, der zur Vereinheitlichung des Erfahrungsmaterials führt, nicht anders als der Gelehrte, der von seinen Meistern eine bestimmte Methode erlernt, gesammelte Einzelkenntnisse zu einem geschlossenen wissenschaftlichen Ergebnis zu führen. Wie für den Gelehrten, so wird auch für den Künstler dieser zunächst erlernte Weg, eine Einheit zu erfassen und aufzubauen zugleich das Mittel, sein eigenstes Inneres – in der Wissenschaft Überzeugungen, in der Kunst Anschauungen und Empfindungen – auszudrücken. Je stärker diese sind, desto mehr modeln sie rückwirkend die Ausdrucksmittel, bis alles nur noch das Gepräge der einen Persönlichkeit trägt. Erbslöh wählte sich vor allem Cézanne als Führer. Ihm verdankt er die wundervolle Verteilung der Massen in seinen Figurenbildern, die große Ruhe und überzeugende Selbstverständlichkeit mit der seine nackten Körper im Bilde stehen. Einmal auch, in dem kleinen Bilde, mit der figurenreichen Komposition, hat er Bestrebungen von Marées zur Reife gebracht. Die Figurenbilder scheinen mir bei Erbslöh die bedeutenderen zu sein, er bringt dafür ein sehr entwickeltes und außerordentlich eindrucksfähiges Gefühl für die Form und ihren Ausdruck in der Linie mit. Dadurch rettet er, bei aller Entschlossenheit, mit der er auf die neue Bildeinheit ausgeht, das beste aus der Ueberlieferung der Vergangenheit in seine Kunst hinüber. Wie hoch das Ziel ist, das er sich steckte, mag man daran ermessen, daß gerade jenes Aktbild, auf dem alle anderen Aufgaben am vollkommensten gelöst sind, die Harmonie der Farben nicht so überzeugend erreicht, wie die anderen. Große Auffassung, Ruhe und Harmonie sind auch die Eigenschaften von Erbslöh’s Landschaftsbildern. Es mag genügen, die „Schwebebahn“ und die „Straße“ hervorzuheben, welche auf der grauen Fensterwand rechts hängen. Welch arbeitslanger, ernster Weg bis zu diesem reifen Können führte, dem unsere Bewunderung gilt, lehrt ein früheres Bild, das fast noch in der Art der Neoimpressionisten gemalt ist, auch in der Farbe noch nicht die jetzige strenge Harmonie zeigt. Doch enthält es bereits deutliche Ansätze zur Vereinfachung und Zusammenfassung der Massen im Sinne des geschlossenen Bildes. A. Kanoldt ist ein leidenschaftlicheres Temperament, er erinnert zuweilen an den stärksten und leidenschaftlichsten Maler unserer Zeit, an Vincent van Gogh. Am deutlichsten in dem ergreifenden „Interieur“, das mit verborgenen Kräften den Beschauer an sich zieht. Und doch ist es ein ganz selbständiges Werk. Im übrigen hat sich Kanoldt, dessen Arbeiten man nicht weniger als Erbslöh den großen, heiligen Ernst ansieht und anfühlt, in die Schule einer Malerei begeben, die, um Einheit der Bildelemente und brauchbare Glieder für einen rhythmischen Aufbau zu gewinnen, möglichst einfache, geradlinig begrenzte Flächen verwendet. Diese Vereinfachung der Erscheinungswelt ist nicht mehr und nicht weniger gewaltsam, als es andere Methoden in früherer Zeit waren. Sie ergibt sich fast von selbst bei dem Thema, das Kanoldt mit Vorliebe behandelt, den Häusern. So ist denn auch auf dem Bilde „Winter“ mit dieser Darstellungsweise nicht nur ein räumsicher [sic] Aufbau erreicht, der unsere Phantasie weit über die dargestellten Gassenwinkel hinaus in die anderen Wege, die man nicht mehr sieht, schweifen, sondern auch das Unheimliche jener öden Plätze, an denen jeden Augenblick eine schreckliche Tat geschehen kann, erschauernd empfinden läßt. Aehnliche Gedanken steigen vor seinen Bildern immer wieder auf, denn Kanoldt ist Romantiker, oder wenigstens wir werden vor seinen Bildern zu Romantikern. Darum wird in kurzem das deutsche Volk seine Werke leidenschaftlich lieben. Er hat, was als Möglichkeit im Herzen der großen Städte schon lange schlummerte, das seltsame Zusammenstehen der Häuser – jemand nannte es einmal scherzhaft in Anlehnung an das veraltete Wort „Baumschlag“ Häuserschlag – für die Malerei entdeckt, und so ist er am Werk, ausgestattet mit dem ganzen Rüstzeug einer entwickelten, rein malerischen Darstellungsweise, Urkunden unseres Lebens zu schaffen. Außer den Landschaften stellte Kanoldt einen Mädchenkopf von eigentümlichem Reiz aus und ein Selbstporträt von grandioser Unerschrockenheit in der Auffassung, das die dämonische Kraft dieses Künstlers ahnen läßt. B. Graef.
- rubric
- Kunstverein/Ausstellung im Kunstverein / Kunstausstellung
- Rubriken Kunst
- 19. Januar-12. Februar: Adolf Erbslöh, Alexander Kanoldt