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Ferdinand Hodler über die Kunst In der letzten Nummer der Münchener Zeitschrift „März“ hat Ferdinand Hodler eine Abhandlung „Ueber die Kunst“ erscheinen lassen, der wir folgenden Abschnitt entnehmen: „Welches auch immer das Ziel ist, das der Maler erreichen will, er kann es nicht ohne die Form, sie ist eine unumgängliche Forderung. Man kann sich nicht ausdrücken, und nichts ist sichtbar ohne sie. Man kann sagen, daß sie zu vier Fünfteln die Aehnlichkeit bedingt, die äußere Gestalt der Körper, den Raum, die inneren Zustände der Seele, und dies ohne jede Hilfe der Farbe. Es genügt, sich Zeichnungen, Gravüren, Photographien daraufhin anzusehen. „Die Form ist allen Künsten gemeinsam, die das Runde erstreben: der Plastik, der Architektur, der Malerei. Sie ist das ausdrucksfähigste Element; sie hat wie die Farbe einen verlockenden Reiz. Die gerade Linie, das Viereck, der Kreis sind Figuren voller Ausdruck. „Wir sind auch fast besser imstande, die Form widerzugeben als etwa die Farbe. Denn unsere Ausdrucksmittel entsprechen mehr dem Element, das wir darstellen sollen. Die Form ist in der Malerei auch weniger der Täuschung unterworfen als die Farbe. Sie ist der äußere Ausdruck eines Körpers, der Ausdruck seiner Oberflächen. Aus all dem geht die Bedeutung der Zeichnung hervor, deren Aufgabe es ist, die äußere Gestalt der Dinge vorzuführen. Die Mittel, über die der Zeichner verfügt, um die Form wiederzugeben, sind der Strich und die ebene Fläche. Der Strich für sich allein drückt die Unendlichkeit aus. Die Form eines jeden Gegenstandes, wie er sich uns darstellt, besteht aus einem äußeren Umriß und aus inneren Formen. Das ist eine Folge unserer Art zu sehen. Denn in Wirklichkeit sind alle Flächen des Körpers äußere. Der Umriß gibt nicht nur die Ausdehnung und die Hebungen und Senkungen eines Körpers wieder, er hat auch noch einen schmückenden, architektonischen Charakter dadurch, daß er einen Körper von dem benachbarten klar abhebt. Und vor allem, weil sie diesen ornamentalen Charakter des Umrisses betonen, erklärten sich die Wirkungen gewisser Meister. Der Umriß des menschlichen Körpers hängt ab von den Bewegungen; er ist an sich selbst ein Element der Schönheit. Diese doppelte Bemühung, einerseits die Logik der Bewegung auszudrücken, andererseits auf die Schönheit, den Charakter des Umrisses hinzuweisen, erzeugt fast immer bei dem Künstler ein langes Ringen. Man gesteht dem Umriß seine schöne Rolle heute willig zu, und dadurch wird er in der Tat ornamental. Man kann sagen, daß die dekorative Kunst mehr und mehr den Charakter des Ornaments annimmt. Alle Meister haben aber das gemeinsame Bestreben gehabt, die Gestalt klar loszulösen aus ihrer Umgebung, die Schönheit der Linie im Umriß zu suchen; sie stellten lange Linien kurzen entgegen, sie studierten Bewegungen und Verhältniste des menschlichen Körpers und entdeckten ihren Rhythmus. „Wie aber sehen wir die Dinge? Als Gegensatz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten, als Verschiedenheit von Farben. Und endlich noch insofern, als sich die Körper linear voneinander abheben. „Alle Körper mit glatter Oberfläche haben einen sehr klaren Umriß. Wenn man unter dem Vorwand, ihn zu verschönen, dem Umriß seinen Charakter nimmt, ihn schwächt und verwischt, und das zum Schaden der Rundmodellierung, die dadurch flau und verblasen wird, so macht man ein falsches Werk, und vor allem, wenn die Beleuchtungsverhältnisse Genauigkeit erfordern. „Diese Art, zu mildern, wo es nicht nötig erscheint, ist im höchsten Grade langweilig. Derlei verrät übrigens auch eine unkorrekte Zeichnung, eine banale Anschauung, den Kitsch. Solche Leute bilden sich ein, daß mildern verschönen heiße. „Doch wenn die klare Kontur ihre Schönheit hat, so sind darum die Abstufungen der Farbe nicht weniger schön. Sollen sich aber die weichen Konturen rechtfertigen, so muß man sein Modell in ein bestimmtes Licht stellen oder in den Halbschatten, wie Carrière oder Tizian. „Man gebraucht und mißbraucht dieses mildernde Verfahren, denn das Publikum neigt dazu, diese Dinge zu lieben. So habe ich mir von einem Photographen sagen lassen, daß viele Damen weiche und verwischte Porträts lieben, die sie nie weich genug bekommen könnten. Und es sei nicht so sehr die äußere Kontur, die sie geschwächt zu sehen wünschten als vielmehr die Modellierung des Gesichts. Ich für meinen Teil kenne nichts Schöneres als gewisse Frauenporträts der primitiven Italiener, deren Konturen von einer bewundernswerten Klarheit sind.“
- Rubriken Kunst
- 1913