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- Jenaische Zeitung :...
- 239. Jahrgang
- Dezember
- Nr. 283 : Dienstag,...
- Kunst-Ausstellung: I
- Erwähnte Institution
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Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
- Erwähnte Person
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2. Blatt
- Zusammenfsg.
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Kunst-Ausstellung. I Epilog zur Munch-Ausstellung. Die Ausstellung von Werken Eduard Munch’s war eines der wichtigsten künstlerischen Ereignisse der letzten Zeit in Jena, und die bedeutsamste Veranstaltung des Kunstvereins in den letzten Jahren. Es sei mir daher gestattet, mit wenigen Worten noch einem auf sie zurückzuweisen, wenn auch alles Wichtige über Munch von anderer Seite, namentlich in dem Vortrage des Dr. Glaser schon gesagt ist. Als vor beinahe zwanzig Jahren Munch zum ersten Male in Berlin ausstellte und bald darauf ein kleiner Kreis von Schriftstellern unter Führung von Przybyszewski für ihn eintrat, mochte es selbst den Gutwilligen schwer werden, ein richtiges Verhältnis zu dieser damals noch so neuen und so fremd scheinenden Kunst zu gewinnen. Es war natürlich, daß man zunächst den Inhalt zu erfassen suchte und von da den Weg in das Innere des Künstlers finden zu können glaubte. Ja es schien, als ob die Dinge, die er darstellte, und die Stimmungen, die er ausdrückte, nicht nur für die Gestaltung in der bildenden Kunst sich eigneten. Ließ sich bald auch die eigentümliche Artung des Künstlers als die des Phantasten erkennen, so mochte man um so mehr dazu neigen, den Maler zu unterschätzen. Daß er vorübergehend, wie jeder, dem die Entwickelung der malerischen Ausdrucksmittel am Herzen lag, von dem französischen Impressionismus beeinflußt schien, mußte diese schiefe Beurteilung nur unterstützen. Vielleicht konnte erst die allerletzte Zeit uns verstehen lehren, wie sehr Munch auch als Maler bahnbrechend ist. Denn die Abkürzung und Vereinfachung und Zusammenfassung der Form, die heute im Mittelpunkt der gesamten neusten Entwicklung steht, wurde von Munch lange vor anderen geübt. Und während andere sie viel gewaltsamer oder durch theoretische Bestrebungen, wie den Kubismus verzerrt, in ihre künstlerische Tätigkeit aufnehmen, ist sie bei Munch wie selbstverständlich aus seiner Anschauung hervorgegangen und hat zu so vollkommenen Schöpfungen wie den Mädchen auf der Brücke geführt. Und wie früh er diesen Weg ganz selbständig gegangen ist, zeigen Bilder wie die Waldstudie von 1890! Noch anderes beweist, daß er durchaus als Maler Eindrücke seiner Augen darstellt: das ist vor allem jene unvergleichliche, 1906 gemalte Landschaft aus Elgersburg „Tauwetter“, die ein Gefühl für die Gestaltung des Bodens bezeugt, wie es weder die französischen Impressionisten noch die schottischen Landschaften je gehabt haben, wie es nur Vincent van Gogh unter den neueren hatte. Hier sind es also Augen, die hinter dem Schein der farbigen Landschaft das feste Gerüst der Form der Erdoberfläche als das Wesentliche erkennen. Und endlich der Portraitmaler Munch! Er war auf unserer Ausstellung nicht ausreichend vertreten. Der Künstler, den man für einen nach innen gekehrten mystischen Träumer hält, gibt wie kein anderer in der Erscheinung der Menschen ihr innerstes Wesen wieder, hellseherisch das Verborgene an das Licht bringend. Also auch bei Munch sind die Elemente, aus denen er seine Bilder aufbaut, Erinnerungen an das, was seine Augen gesehen. Aber, wie er selbst es gelegentlich ausdrückt, es ist die „dritte Erinnerung“, das heißt, eine Erinnerung, die von dem unmittelbaren Augeneindruck schon durch eine Spanne Zeit und ein inneres Geschehen weit getrennt ist. Diese „Dritte Erinnerung“ zeigt von den Dingen eben nur noch das, was als das Wesentliche sich dem Vorstellungsvermögen eingeprägt hat. So geschieht also jene Umformung der gesehenen Dinge zu Bildelementen nicht mehr durch das Sehen oder gar das Darstellen, sondern sie geschah in der Phantasie, und der Künstler stellt als etwas Selbstverständliches dar, was in ihr als Bild lebt. Nur weil diese Bausteine seiner Werke so ganz ihm zu eigen gehören, kann er damit so frei schalten, daß ein Werk entstehen konnte, wie die 1910 gemalte Straße in Kragerö, mit dem Reichtum der räumlichen Gestaltung, der großen Harmonie der Farbe, der erfrischenden, durchsichtigen Luft, dem überwältigenden Zauber, der hier von den schlichtesten Motiven ausgeht. Diese eigentümliche Art, sich der Erscheinungswelt innerlich zu bemächtigen, macht es dem Künstler möglich, jene von allem Zufälligen und Unwesentlichen gereinigten Erinnerungen an die Dinge zu Trägern seiner phantastischen Visionen zu machen. Man wird sage, das tue jeder bildende Künstler, das sei nichts diesem Norweger Eigentümliches. Gewiß, er reiht sich in der Tat als echter Maler, als Maler im vollsten Sinne des Wortes allen großen Malern an. Darauf kommt es an, das festzuhalten. Er ist nicht ein Mystiker, der sich nicht nur zu Unrecht und unvollkommen des Mittels der Malerei bedient, um sich auszudrücken. Aber was seine ihm eigenste unvergleichliche Eigenschaft ist, das ist die Vollständigkeit, mit der Natureindruck und phantastischer Gehalt sich in seinem Schaffen durchringen. Seine Visionen werden für uns zu Ereignissen, und wir unterscheiden nicht mehr, ob Erlebnisse der Außenwelt oder der Innenwelt sie veranlaßten.
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- 20. Oktober-13. November: Edvard Munch