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- 239. Jahrgang
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IV. Internationaler Kongreß für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst in Dresden. Der internationale Kongreß für Zeichnen und angewandte Kunst erstrebt die Förderung des Zeichen- und Kunstunterrichts. Er will diesen auf immer festere Grundlagen stellen und den Wert zeigen, den das Zeichnen für die allgemeine Bildung wie für den Beruf hat. Der Kongreß tagte zum erstenmal auf der Weltausstellung 1900 in Paris und wurde seitdem in Zwischenräumen von je vier Jahren in Bern, London und jetzt in Dresden abgehalten. Die Ausstellung gab ein klares Bild von dem gegenwärtigen Stand des Zeichenunterrichts und seiner Methode in den verschiedenen Ländern. Besonderer Wert wurde der Vorführung von neuen Unterrichtsversuchen und Ergebnissen beigemessen. Zu unterscheiden war die Abteilung für allgemeinbildende und die für berufliche Schulen. Außerdem war eine kleine Sonderausstellung veranstaltet, die den Entwicklungsgang veranschaulichte, der den Zeichenunterricht an den Dresdener Schulen seit hundert Jahren durchgemacht hat. Jeder Besucher der Ausstellung mußte einsehen, was für einen Umfang und eine Mannigfaltigkeit der heutige Zeichen- und Kunstunterricht hat und was sich daraus für eine Bedeutung für Schule und Leben ergibt. Die ersten Diskussion beschäftigte das Thema „Das Zeichen als Sprache“. Es ist schon lange ein Ergebnis der modernen Kinderforschung, daß das Heranbilden des zeichnerischen Ausdrucks dem des sprachlichen verwandt ist. Soll das Zeichnen als Ausdruck, als „Sprache“ verwendet werden, so ist es immer ein Mittel zum Zweck intellektueller Bildung in einzelnen Unterrichtsfächern, in Erdkunde, Raumlehre, Rechnen, Geschichte, Naturkunde, Physik und auch im Deutschen. Es hilft Formen durch Formen darstellen. Professor Lewicki (technische Hochschule Dresden) forderte die allgemeine Hebung des graphischen Ausdrucks als eine Kulturaufgabe und zeigte neue Mittel und Wege dazu. Er wies auf die Veröffentlichungen von Vertworn und Stiegelmann hin, die beweisen, daß die Urmenschen der älteren Steinzeit eine ganz bedeutende Fertigkeit im naturwahren Darstellen von Tiergestalten aus der Erinnerung besessen haben müssen. Sollte es dem Kulturmenschen der Jetztzeit nicht auch möglich sein, sich im mündlichen und schriftlichen Verkehr nach Bedarf der freien Handskizze mit Leichtigkeit zu bedienen? Es kommt also darauf an, daß durch zweckmäßige, während der ganzen Schul- und Ausbildungszeit konsequent durchgeführte Uebungen die Fähigkeit erworben werde, die Umwelt mit geschulten Blicken zu erfassen. Ein großer Raum war auf dem Kongreß der Pflege der Geschmacksbildung gewidmet. Nachdem Studienrat Dr. Kerschensteiner 1905 in seinem vorzüglichen Werk „Die Entwicklung der zeichnerischen Begabung“ nachgewiesen hat, daß das Kind reif für das Ornament ist, sind vornehmlich die Städte München und Dresden mit der Pflege des Ornaments und der kindlichen Verzierungskunst vorangegangen. Als im Jahre 1902 die Reform des Zeichenunterrichts durchgedrungen war und mit ihr das Zeichnen nach Gypsornamenten aufhörte, wurde in den Fachzeitschriften oft laute Klage geführt über die Vernachlässigung des Ornaments im Zeichenunterricht. Man hatte es damals noch nicht eingesehen, daß man die Kinder mit dem Nachbilden der alten Ornamente zur Darstellung von Formen zwang, die ihrem Verständnis vollkommen fremd waren, und eher dazu dienten, den vorhandenen guten Geschmack zu verbilden als zu pflegen. Aber schon ein flüchtiger Gang durch die Ausstellungshallen gab uns das erfreuliche Zeugnis von zielbewußter Geschmacksbildung, Pflege des schmückenden Zeichnens und kindlicher Verzierungskunst. Die Städtische Oberrealschule in Jena hatte zu dem Kapitel „Geschmacksbildung“ einen eigenen Lehrgang und seine Ergebnisse ausgestellt. Dies waren Uebungen im Entwerfen und Anwenden farbiger Ornamente, die nur während der Wintermonate in den pflichtmäßigen Zeichenstunden vorgenommen wurden. Sie sollen die Selbständigkeit der Schüler in Geschmack und Urteil pflegen, den rein sinnlichen Genuß an der Farbe wecken und das rhythmische Empfinden ausbilden. Der Unterricht erstrebt den freien Ausdruck dieses Gefühls durch die Verwendung einer möglichst ungebundenen Technik. Die Schüler lernen, daß den selbstgefundenen Natur- und Phantasieformen erst der Rhythmus das ornamentale Gepräge gibt. Die ausgestellten Mappen, Teller und Entwürfe waren die Gefäßformen und deren Ornamente meist von Schülern der oberen Klassen entworfen und die Bemalung mit feuerfesten Farben selber ausgeführt. Mit der Oberrealschule teilte gemeinsam die hiesige Nordschule einen Raum, die in einer Anzahl Freipinselübungen einen besonderen Lehrgang veranschaulichte. Jena war auf dem Kongreß durch einen Delegierten, den Unterzeichneten, und eine Reihe von Schulmännern vertreten. Die Bestrebungen der Schulreform gehen dahin, neben dem Gesichts- und Gehörsinn auch die Handgeschicklichkeit zu pflegen, darum wurde in der Kongreßausstellung dem Handfertigkeitsunterricht ebenfalls ein bedeutender Platz eingeräumt. Der Handfertigkeitsunterricht will die natürlichen Anlagen und Kräfte des Kindes, den Schaffens- und Gestaltungstrieb wecken und es vor allem befähigen, Schleuderware von gediegener Arbeit zu unterscheiden und den Wert derselben hochzuschätzen. Für die Aufgaben und Ziele des Freihandzeichenunterrichts hat Professor Groß (Kunstgewerbeschule Dresden) klare Forderungen gestellt: Die gewerblichen Berufe, sowohl die schmückenden als auch die rein technischen, müssen verlangen, daß der auch nur mittelmäßig im Zeichnen Befähigte mit 14 Jahren einfache Objekte in einfacher, freihändiger Darstellung richtig wiedergeben kann, sodaß die gewerblichen Schulen hierauf ohne weiteres ihr berufliches Zeichnen gründen können. Die wissenschaftlichen Berufe empfinden an ihren Hochschulen immer mehr die Notwendigkeit des zeichnerischen Darstellungsvermögens. Die rein künstlerischen Berufe in Sinne der Malerei und Plastik müssen sich kraft des eigenen persönlichen Talents entwickeln. Hierfür gibt es keine Formeln. Vor allem wurde es klar, daß der Förderung der Gestaltungskraft möglichst freie Entfaltung gewährt wird, und die Erziehung der heranwachsenden Kunstkonsumenten durch Erarbeitung des Interesses und Verständnisses für das Kunstschaffen erstrebt werden soll. Professor Cicek, Wien, führte interessante Beispiele aus dem Produktionsgebiet der Jugendkunst vor. Die Jugendkunst ist ein selbständiges, in sich abgeschlossenes Kunstgebiet und kann niemals als Vorstufe für die reife Kunst betrachtet werden. Darin liegt auch die Begründung einer selbständigen Pflege derselben. Ueber das Zeichnen an den Hochschulen, insbesondere an tierärztlichen und medizinischen Fakultäten, äußerte Professor Herm. Dittrich: Die hohe Bedeutung des Zeichnens als Bildungs- und Ausdrucksmittel wird am meisten von den Wissenschaften gewürdigt, deren Studium hauptsächlich auf Beobachtung beruht. Es sind dies die medizinischen bezw. veterinär-medizinischen, sowie die meisten naturwissenschaftlichen Fächer. In der tierärztlichen Hochschule ist das Zeichnen schon seit neun Jahren als Lehrgegenstand mit wöchentlich einer Doppelstunde in dem Studienplan aufgenommen. Professor Braun z. B. weist jeden Studierenden an, seine am Präparat erworbenen Kenntnisse in einer zeichnerischen Skizze zum Ausdruck zu bringen und hält das Erlernen und Beherrschen der komplizierten vergleichend-anatomischen Verhältnisse nur mit Hilfe des erwähnten Zeichnens für möglich. Ausgestellt waren neben anatomischen Zeichnungen allgemeine Skizzierungen, Gedächtnniszeichnungen, sogen. Freiarmzeichnungen an der Wandtafel und Uebungen im Hinwerfen orientierender Skizzen. Interessant waren auch die ausgestellten Farbentreffübungen für Kunsthistoriker. Mit größter Spannung folgte man den Ausführungen des Professors Meumann-Hamburg über seine Forschungen auf dem Gebiete der Psychologie des Zeichnens. Er sprach u. a. über die Tätigkeit des Auges beim Zeichnen, über das Zusammenwirken von Auge und Hand und Gesichtsvorstellung und Hand bei der Ausführung von zeichnenden Bewegungen, und über die Analyse der zeichnerischen Begabung. Den Kongreßmitgliedern waren die Königlichen Sammlungen und die Monumentalausstellung unentgeltlich geöffnet. Am 15. August besichtigte der Kongreß die Gartenstadt Hellerau, die „Deutschen Werkstätten“ und die Bildungsanstalt Dalcroze, in welcher wir nach einer Begrüßungsansprache von Dr. Wolf Dorn einer Vorführung rhythmischer Gymnastik von Schülern und Schülerinnen der Anstalt beiwohnten. Natter.
- Rubriken Kunst
- 1912