- A-Z
- Jenaische Zeitung :...
- 239. Jahrgang
- Juni
- Nr. 145 : Sonntag, ...
- Kunst-Ausstellung
- Erwähnte Institution
-
Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
- Autor(in)
- Maler(in)
- Erwähnte Person
- Seitenbereich
-
2. Blatt
- Zusammenfsg.
-
Kunst-Ausstellung. [Zum Einführungsvortrag von Prof. Dr. Botho Graef am 16.6.1912] Zur Eröffnung der Ausstellung habe ich etwa das folgende gesprochen, was nicht dem Wortlaut, aber etwa dem Sinne nach hier zunächst folgen möge. „Die Bilder, die Sie hier sehen, weichen von dem was Sie sich bisher gewöhnt hatten, als Kunst zu betrachten, außerordentlich weit ab. Sie bedürfen weder meiner Belehrung, noch auch Ihrer eigenen Bildung, um das zu sehen, und um auch zu erkennen, worin diese Abweichung besteht. Wenn ich also, der freundlichen, vom Vorstande des Kunstvereins an mich ergangenen Aufforderung folgend, hier einige Worte der Einführung sage, so geschieht es nicht um diese Tatsache festzuhalten, sondern um etwas weitere Fragen gegenüber diesen Bildern zu erörtern. Je nach Temperament ist man geneigt, Kunstwerke, die so befremdend wirken, zu belachen oder sich gar über sie zu entrüsten. Ich möchte Sie nun bitten, mit dem Ausdruck Ihres Spottes und Ihres Zornes zu warten, bis Sie mich angehört haben. Wenn es sich hier um die Werke von zwei oder drei Künstlern handelte, die ihre sonderbaren Wege gehen, so könnten wir darüber vielleicht zur Tagesordnung übergehen. Aber schon die Künstlernamen, die Sie hier vertreten sehen, noch mehr das, was die verschiedenen Ausstellungen in den deutschen Städten in den letzten Jahren boten, zeigt, daß es sich hier um eine europäische Bewegung handelt. Nennen Sie es meinetwegen eine pathologische Erscheinung: Die Tatsache, daß sie über ganz Europa verbreitet ist, fordert zum mindesten unsere Aufmerksamkeit. Suchen wir zunächst nach einem Standpunkt für ihr Verständnis. Ihn kann nur der finden, dem es eine innere Notwendigkeit ist, an der lebenden Kunst teilzunehmen, wie sie auch sei. Mancher will sich nur an die Kunst halten, die ihm genehm ist, und wenn er zu der Kunst seiner Zeit keine Beziehung finden kann, so zieht er sich auf die vergangene zurück. Ich muß das für einen genießerischen Standpunkt halten. Meine Betrachtung setzt da ein, wo man sich dessen bewußt geworden ist, daß unsere Stellung zur alten und zur neuen Kunst grundsätzlich verschieden ist. Auf die nähere Begründung dieses Unterschiedes kann ich hier nicht eingehen, wer ihn aber empfindet, könnte fast so paradox sein zu sagen: „Die ganze vergangene Kunst geht uns nichts an, wir haben es nur mit der lebenden zu tun, nur sie kann unserer Zeit das geben, was die vergangene der ihren gab, nur sie kann unsere, uns und unserer Zeit eigenen, Spannungen lösen. Selbst wenn sie schlecht ist, wir brauchen sie. Die schlechteste lebende Kunst leistet in gewisser Weise mehr als die beste vergangene.“ Wenn wir das wissen, so genügt es nicht, die Kunst kritisch zu betrachten, sondern wir müssen entschlossen innerlich mitmachen, müssen mitleben. Auch gegen unseren Willen. Wollen wir uns nicht einkapseln und gegen das Lebendige verschließen, so müssen wir den Mut haben, eine Weile lang ganz mitzugehen. Wie weit, das ist eine andere Frage. Gerade von den Vorkämpfern der neueren Bewegung sagen Manche an einer bestimmten Stelle: Hier machen wir Halt! Das wird jeder mit sich selbst ausmachen müssen, und ich will gern gestehen, daß ich auch persönlich noch nicht allen folgen kann, was Sie hier sehen. Wir waren davon ausgegangen, daß wir hier durch einige Beispiele mit einer europäischen Erscheinung bekannt geworden sind. Alle großen Kunstperioden waren europäische und nicht nur nationale Ereignisse. Mit den einzelnen großen Genies ist es nicht anders, auch sie überschritten in ihrer Wirkung die Grenzen des nationalen Bodens, aus dem sie gewachsen waren, und wurden ein Schicksal für ganz Europa. Der letzte, an dem wir das alle erlebt habe, war Vincent van Gogh. Auch die Bewegung, die wir hier betrachten, ist nur verständlich auf dem Hintergrund des Schicksals der Kunst in Europa, das seit der Zeit der Egypter und Griechen ein gemeinsames ist. Gegen dieses gemeinsame Schicksal lehnt man sich endlich auf, mal will endlich die Ketten abschütteln, die von den Griechen her die Kunst an sich schleppt. Alle modernen Bewegungen, nicht nur seit fünfzig Jahren, auch Bestrebungen, deren Anfänge viel weiter zurückreichen, aber durch den Klassizismus wieder zurückgedrängt worden sind, zielen dahin. Die griechische Kunst, entstanden unter Bedingungen, die in allem von unserer Zeit völlig verschieden waren, ist für uns fremd. Ihre außerordentliche Höhe und unvergleichliche Vollendung konnte darüber täuschen. Je tiefer wir in ihr Verständnis eindringen, desto mehr erschließt sich ihre Fremdartigkeit. Es war ein Traum, als man sie zu verstehen glaubte, gar sie erneuern wollen, ist irrtümlicher Traum. Wie steht es denn im großen und ganzen mit der Entwicklung in den großen Kunstperioden? Man fängt zunächst mit primitiven Versuchen an, sie entsprechen einem unmittelbaren Drang, der sich, wenn auch gehemmt durch die entgegenstehenden Schwierigkeiten, ausdrückt. Nun werden durch die Vervollkommnung des Könnens die Hemmungen überwunden, und zunächst scheint es, als könne sich der Künstler freier und vollständiger aussprechen. Aber die künstlerische Tradition, die vielleicht mit besonderer Klarheit und Reinheit die gemeinsamen Tendenzen der Künstler eines ganzen Volkes herausarbeiten hilft, sie wird bald zu einer Konvention, die der Entfaltung des persönlichen hindernd entgegensteht, das unmittelbare droht darin zu ersticken. Der Maler, der etwa die gesamten Errungenschaften einer das Anatomische vollständig und korrekt wiedergebenden Zeichnung, der Herausarbeitung der plastischen Wirkung der Form der perspektivischen Darstellung des räumlichen seinem Werke einverleiben will, findet nicht mehr Raum zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, nicht mehr Möglichkeit des unmittelbaren Ausdrucks seiner Empfindung. Daher die Bevorzugung der Primitiven, die Sie wohl selbst an sich bei einem längeren Aufenthalt in Italien erlebt haben, und deren Spuren man jetzt überall findet. Weil eine gewisse Vollendung des künstlerischen Könnens oft eine Verflachung mit sich führt, kehren auch die Schaffenden bewußt zum Primitiven zurück: Man verzichtet auf das in der europäischen Kunst in jahrhundertlanger Arbeit erworbene Können, um unmittelbar sich selbst auszusprechen. Man fängt nicht durchaus bei dem Nichts an, sondern sucht nun auch Belehrung und Anlehnung bei früherer primitiver oder primitiv erscheinender Kunst unter Verzicht auf alle guten „Errungenschaften“. Daher z. B. auch die Vorliebe für das Byzantinische. Aber der Verzicht und die Verneinung allein und die Anlehnung an Früheres wäre doch keine ausreichende treibende Kraft für eine lebendige Entwickelung, es muß auch etwas positives und neues darin zu spüren sein. Das ist heut die neue Art der Bildeinheit. So lange die menschliche Gestalt das wichtigste im Bilde war, konnte die Anordnung der Figuren allein den Rhythmus des Bildes ergeben. Aber wir haben den Menschen von seiner Alleinherrschaft in der bildenden Kunst seit langem entthront, weil wir die ganze Natur heut mit gleicher Liebe als Objekt künstlerischer Darstellung ansehen. Ich kann hier nur andeuten, daß das mit dem Hervortreten pantheistischer Strebungen im religiösen Empfinden zusammenhängt. Der Mensch ist für das Bild nur ein Gegenstand wie jeder andere. Die Ordnung des Bildes muß sich auf alle Elemente gleichmäßig aufbauen. Diese Ordnung, die sich mehr und mehr rein auf der Fläche vollzieht, verzichtet absichtlich auf alles, was der Verknüpfung der Teile zur Einheit entgegenarbeiten könnte, wie die Herausarbeitung plastischer Werte oder gar die allzu aufdringliche Darstellung des Räumlichen. Diese sich allmählich herausarbeitende Betonung des Flächenhaften, die nun auch an Flachbilder früherer Zeit anknüpft, ist ein neues treibendes Element, das aus der Auflösung, wie sie der Impressionismus brachte, zur Zusammenfassung drängte. Aber es wird nicht mehr zusammengefaßt, um eine Naturform zu verdeutlichen, sondern nur, um die farbigen Flächen abzugrenzen, deren Zusammenordnen eben die Bildeinheit macht. Wenn Sie daher fingerdicke Umrisse da finden, wo kurz vorher der Impressionismus noch das Auflösen des Umrisses im Licht gepredigt hatte, so dienen sie nur dem erörterten Zweck, und dasselbe tut die Zerlegung der Gebilde der Natur in Kuben. Diese in die abstrakte Form des Rechtecks gefaßten Farbenflächen gehen mit Konsequenz auch dem Verdachte der genauen Naturnachbildung aus dem Wege und wollen nur mit größerer Deutlichkeit sich als geformte Glieder einer rhythmischen Ordnung zeigen. Es gilt also zunächst einmal, das zu vergessen, was wir früher in Bildern suchten, und zu verstehen, was hier geschieht. Vom tatsächlichen Wissen steigen wir aber durch das Erkennen erst dann zum Begreifen auf, wenn wir mit unserem eignen Erleben und Empfinden uns in diese Bewegung hinein begeben. Wir, die wir in einer Zeit leben, in der die Alleinherrschaft des klassischen Altertums von allen Seiten und namentlich von der Naturwissenschaft bekämpft wird, wir haben allen Anlaß, die Beziehungen aufzusuchen, die zwischen einer neuorientierten Kunst und dem modernen Geistesleben bestehen. Urteilen mögen unsere Nachfahren, wir wollen zufrieden sein, wenn wir bis zum Begreifen aufgestiegen sind. Aber in diesem Urteil wird es sich später einmal um die Grundsätze, nicht um die Einzelheiten handeln. Inzwischen wollen wir uns alle daran erinnern, wieviel wir schon verurteilt haben, was wir später bejubelten. Das mag uns vorsichtig machen. Aber daß wir Gelegenheit haben, derart an dem lebendigen Leben der jetzigen Kunst teilzunehmen, dafür gebührt jedenfalls der Leitung des Kunstvereins unser Dank. So weit etwa die einleitenden Worte. Ich füge nun nur noch einige Bemerkungen über einzelne Künstler an. Da die aus früherer Kunst abgeleiteten Maßstäbe nicht ohne weiteres anwendbar sind, ist die größte Zurückhaltung geboten. Am unmittelbarsten verständlich werden wohl die landschaftlichen Bilder von Bechtejeff sein, die sich nicht so sehr weit von dem entfernen, womit die moderne Entwicklung uns alle vertraut gemacht hat, und deren Farben vom allergrößten Zauber sind. Vielleicht ist ihr Klang eine Note zu weich. Bei desselben Künstlers Figurenkompositionen versteht man zwar, wie die Vereinfachung der Zeichnung des menschlichen Körpers durch die Wiederholung ähnlicher Linien der Darstellung der Bewegung dient, und dadurch das Bild ganz einheitlich zum Ausdruck eines rhythmischen Gedankens macht, aber es ist nicht leicht, sich an diese willkürliche Zeichnung der Körper zu gewöhnen. Sehr fein sind zwei kleine Landschaften von Girieud und das Stilleben mit dem Gobelin im Hintergrunde. Ganz besonders verdient aber das kleine Bild mit den drei Grazien hervorgehoben zu werden, wegen der geschlossenen Komposition und der reichen und doch feinen Farben. Von Erma Bossi scheinen mir am gelungensten die beiden Bilder „An der Seine“ mit der Brücke und „Unter Palmen“, gewiß an Gauguin erinnernd, aber durch die einfache Komposition wirkend. Die Bilder von Marianne von Werefkin stehen nicht sehr entschieden innerhalb der neuen Bewegung und leiden etwas an einer weichlichen Färbung. Wundervoll in der Wirkung seiner Farben ist dagegen Mogilewsky auf seinen kleinen Landschaften und dem Stilleben. Den glücklichsten Gesamteindruck macht die Wand mit den Bildern von Erbslöh: ich glaube, daß das Maß von Vereinfachung der Zeichnung und Zusammenfassung der Flächen, wie er es anwendet angesichts ihres restlosen Aufgehens in der Gesamtkomposition leicht zu begreifen und zu genießen ist. Und seine kräftigen, frischen und so harmonischen Farben, namentlich auf den beiden Sommerbildern werden selbst Gegner durch ihren Zauber versöhnen. Kanoldt, mit dem uns die vorige Ausstellung bekannt gemacht hatte, der in seiner Farbenempfindung offenbar mit Erbslöh viel gemeinsames hat, stellt diesmal nur kubistische Bilder aus, sie wirken nicht so stark, wie das Bild der vorigen Ausstellung. Aber ein so begabter Künstler, der über ein so beträchtliches Können verfügt, muß wissen, was er tut, wenn er sich vorübergehend einer so strengen Methode unterwirft. Und etwas von seiner ernsten dämonischen Kraft wohnt auch in diesen Bildern, am meisten etwa in dem Bilde „Am Eisach“. Am schwierigsten wird es wohl allen werden, den Köpfen von Jawlensky nahe zu kommen. Erinnern wir uns, daß auch er mit einer sehr feinen Landschaft auf der vorigen Ausstellung vertreten war, und beachten wir auch hier die beiden Landschaften. Das mag uns vertrauen zu seinem Können und seinem rein auf das Malerische gerichteten Sinn geben. Erwägen wir, daß so große und so geformte Augen in byzantinischer in frühgriechischer und manch anderer Kunst der Wirkung nicht im Wege stehen, denken wir, daß er mit den Farben in erster Linie dekorativ wirken will, so werden wir allmählich auch manches von menschlicher Charakteristik in seinen Köpfen finden. Aber es wird immer sehr schwer bleiben, der eigenwilligen Vereinfachung der Form hier zu folgen, und gerade, wenn man sich der Wirkung der starken und reinen Farben hingibt, so wird man doch etwas zu sehr an das Plakat erinnert. B. Graef.
- Rubrik
- Kunstverein/Ausstellung im Kunstverein / Kunstausstellung
- Rubriken Kunst
- 16.-30. Juni: Neue Künstler-Vereinigung München: Wladimir von Bechtejew, Pierre Girieud, Erma Barrera-Bossi, Marianne von Werefkin, Alexander Mogilewsky, Adolf Erbslöh, Alexander Kanoldt, Alexej von Jawlensky