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- Jenaische Zeitung :...
- 239. Jahrgang
- Februar
- Nr. 30 : Dienstag, ...
- Vom gesunden Mensch...
- Erwähnte Institution
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Jenaer Kunstverein (DR), (DKR), (WR), (NSD/NS), (DDR), (BRD), (20.12.1903 - 1937; XX.02.1990 -)
- Erwähnte Person
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1. Blatt
- Zusammenfsg.
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Vom gesunden Menschenverstand am Sacharoff-Abend. Die Kunst des russischen Künstlers wurzelt so wenig in der Tradition unseres Volkstums, daß es nicht leicht war, ihr nahezukommen, und man kann wohl sagen, daß ein einleitender Vortrag am Platze gewesen wäre, um klarzumachen, wohinaus Sacharoff mit seinem Tanz will. So war es kein Wunder, daß sich die Zuschauer in zwei Gruppen teilten. Die eine wurde immer wärmer und wärmer, die andere protestierte innerlich, daß ihr etwas so Seltsames wie eine restlos-ekstatische Kunst zugemutet wurde, sie war doch des Tanzes wegen gekommen und Tanz ist immer lustig. Das kennt man ja aus eigener Erfahrung! In solchen Fällen setzt, zumal wenn man von sich selbst überzeugt ist, der gesunde Menschenverstand ein, der sich mit aller Gewalt frei von Suggestion halten will und dessen Kritik, da er keine Unterlagen hat, sich so oft mit – Witzeln hilft. „Das ist ja zum Stiefel ausziehen“ und ähnliche Geistreichigkeiten konnte man deutlich von seinen Nachbarn hören, die ganz ahnungslos waren, daß sie sich selbst mit diesen Reden unter das Niveau ihrer Kritik stellten. Ja, mit dem gesunden Menschenverstand ist es eine schlimme Sache, wenn er die Kunst, die ebenso im Tanz wie in der Musik nacherlebt sein will, verständnislos gegenübertritt. Denn wo ist der Maßstab festzustellen: Liegt es an dir oder liegt es am Künstler? Da hilft auch keine Autorität, ohne die nicht nur in Jena, sondern auch in der ganzen Welt viele Leute kein „eigenes“ Urteil haben. Da hilft nur das Erkennen, ist der Künstler ein Macher oder ein Könner. Es ist das nicht immer haarscharf zu unterscheiden, aber das Auge dafür haben am ehesten die Künstler selbst, und es ist erfreulich zu hören, daß auf Grund der Aufführung im Kunstverein die Leitung der Weimaraner Kunstschule Herrn Sacharoff zu einer Vorstellung für ihre Schüler eingeladen hat. Wieweit Sacharoff für manche seiner Zuschauer ein Könner war, ließ sich aus dem immer stärker einsetzenden Beifall erkennen. Es gibt eine Kunst, die in der Strenge ihrer Form beinahe so wirkt, als wäre sie konstruierend und nicht aus dem Erlebnis heraus geboren. Sacharoffs Kunst ist aus dem Gefühl des Plastikers – er ist ja selbst ein die Bildhauerkunst Ausübender – entstanden. Seine Stellungen haben sich aus der mimischen Bewegung zum Tanz verdichtet, so daß die begleitende Musik erst als Letztes dazukam. In unablässigem Studium hat er seinem Körper eine große seelische Ausdrucksfähigkeit gegeben, seien es die Bewegungen des Halses oder der Arme, oder seien es die des Gehens. So wurde der Oberkörper ganz unabhängig vom Schreiten und zeigte den befreienden Menschen, bei dem Inhalt und Form eins sind. Diesen höchsten Ausdruck der Plastik gab die Kunst des Russen, die auch ein gesunder Menschenverstand erkennen kann vorausgesetzt, daß sein Besitzer plastisch sehen gelernt hat. -i-.
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- 2. Februar: Tanzabend Alexander Sacharoff